Formen der Zusammenarbeit finden

Interview zur Aktionskonferenz in Rostock
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analyse & kritik

Im folgenden dokumentieren wir ein Interview, das in der Märzausgabe der ak - analyse & kritik  erschienen ist:

Am 25./26. März findet in Rostock die 1. Arbeitskonferenz in Vorbereitung auf den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm/Deutschland statt. Im Aufruf zu der Konferenz, der von Reinhard Knisch (Rostock), Peter Wahl (attac), Willi van Ooyen (Bundesausschuss Friedensratschlag), Thomas Seibert (medico international), Christoph Kleine (Interventionistische Linke) und Monty Schädel (Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte KriegdienstgegnerInnen) unterzeichnet ist, heißt es: "Die Konferenz soll Auftakt eines offenen - auch ergebnisoffenen - Verständigungsprozesses sein." Wir sprachen mit H.P. Kartenberg von der Initiative Libertad!, die in der Interventionistischen Linken (IL) aktiv ist, über aktuelle Schwierigkeiten und das generelle Anliegen der Rostocker Arbeitskonferenz.

ak: Zwei Wochen vor der Konferenz kam die Hiobsbotschaft. Die zugesagten Räume stehen nicht mehr zur Verfügung. Was ist da los?

H.P. Kartenberg: Bei dem letzten Treffen des Vorbereitungskreises zur Rostocker Konferenz, an dem Vertreter der WASG, von attac, dem Sozialforum in Deutschland, vom PDS-nahen Jugendverband solid, der Interventionistischen Linken, dem Netzwerk Friedenskooperative und der regionalen Koordination gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm teilgenommen hatten, wurde bekannt, dass die Universität - mit der wir in Verhandlung standen - keine Räume zur Verfügung stellen will und einen Rückzieher macht. Der Vorbereitungskreis wird auf diesen Versuch der kalten Aussperrung offensiv reagieren. Wir sind zuversichtlich, dass in Rostock, wo auch immer, die 1. Aktionskonferenz stattfindet.

Was vermutest du, steht hinter dieser Absage?

Der lokalen Presse und auch dem Rostocker Oberbürgermeister ist anscheinend noch nicht wirklich klar, dass das "Ja" zum G8-Gipfel, um den sie heftig geworben haben, auch ein "Ja" zu den Protesten bedeutet, die damit unweigerlich verbunden sein werden. Genau aus diesem Grund wollten wir von Anfang an die Konferenz in Rostock durchführen, um auf das öffentliche Klima Einfluss zu nehmen. Wir wollen zeigen, dass hinter der Mobilisierung gegen den G8 ganz unterschiedliche Spektren stehen: AktivistInnen der Sozialproteste, der Umwelt- und Friedensbewegung, der Gewerkschafts- und Menschenrechtsarbeit, der Selbstorganisation der MigrantInnen bis hin zur globalisierungskritischen Bewegung und den verschiedenen Strömungen der Linken.

Was erwartest du dir von der Konferenz?

Wenn es gut läuft, kann das Rostocker Treffen - genauso wie etwa der BUKO im Mai oder die attac-Sommerakademie - ein Ort sein, an dem die zweite Phase der G8-Mobilisierung angestoßen wird. In der ersten Phase haben sich die verschiedenen ProtestakteurInnen zusammengefunden. Die Diskussionen begannen darüber, welche Bedeutung der G8-Gipfel für die Bewegung hat, was man in den Protesten politisch zum Ausdruck bringen will und wie Kooperationsmöglichkeiten aussehen könnten. Es hat diese Diskussionen auf den großen offenen Treffen des PGA-/dissent!-Spektrums gegeben, ebenso wie in der Interventionistischen Linken und in den sozialen Bewegungen, in der Gewerkschaftsjugend, vor Ort in den Antifa-Strukturen, aber auch bei attac oder bei NGOs wie der Erlassjahr-Kampagne. Jetzt müssen Räume geschaffen werden, wo die Diskussion darüber geführt werden kann, wie die verschiedenen Strömungen in Kommunikation treten, welche gemeinsame Verabredungen getroffen und wie sie umgesetzt werden können; wie man also mittelfristig an Strukturen arbeitet, die eine gemeinsame Handlungsfähigkeit ermöglichen. Insofern geht es in Rostock vor allem darum, verschiedene Milieus und Aktivisten in Kommunikation zu bringen, erste praktische Verabredungen auszutauschen und ein politisches Signal für eine spektrenübergreifende Kooperation auszusenden. Und weil vor uns nicht Heiligendamm, sondern erst mal der diesjährige G8-Gipfel in Putins Reich liegt, wird an der Konferenz u.a. auch ein Vertreter der diesjährigen Gegenmobilisierung aus St. Petersburg teilnehmen.

Wird es deiner Ansicht nach gelingen, dass man zum G8 in Heiligendamm gemeinsam etwas auf die Beine stellt?

Die politische Chance besteht. Im Gegensatz zur Mobilisierung gegen den G7-Gipfel 1999 in Köln und angesichts der Entwicklung, die die globalisierungskritische Bewegung seitdem genommen hat, aber auch durch die anhaltenden Sozialproteste, ohne die es keine Linkspartei in dieser Form gegeben hätte, haben sich die alten, traditionellen und oftmals rein westdeutschen Konstellationen, in denen Proteste gegen Großereignisse organisiert wurden, verändert. Insofern halte ich es durchaus für möglich, dass sich die verschiedenen Akteure auf eine gemeinsame Koordination der Proteste gegen den G8 in Heiligendamm verständigen können. Dabei muss es darum gehen, Formen der Zusammenarbeit zu finden, die es allen ermöglichen, ihre Inhalte und Praxisformen zum Ausdruck zu bringen. Ob das in der klassischen Form eines formalen Bündnisses sein wird, das die in der Diskussion befindlichen Aktivitäten - Großdemonstration, Gegenveranstaltungen, Blockaden, Camp, Musikfestival - organisiert, wird man sehen. Klar ist aber, dass es bestimmte Formen der Koordination geben muss. Nicht alleine wegen der logistischen und organisatorischen Herausforderungen, vor denen man steht, sondern auch, weil nur so sicher gestellt werden kann, dass ein solcher Koordinationskreis in irgendeiner Form demokratisch und politisch durch die Bewegung legitimiert ist und überhaupt Entscheidungen treffen kann, die gemeinsam getragen werden.

Was sind die Voraussetzungen dafür?

Im Aufruf für die Rostocker Konferenz haben wir einen Konsens formuliert, der m.E. über die Aktionskonferenz hinaus als Grundlage für eine G8-Mobilisierung dienen könnte. Der Konsens lautet: Eindeutige Delegitimierung des G8-Prozesses. Gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Aktions- und Widerstandsformen. Solidarischer, verlässlicher Umgang miteinander, der verbindliche Absprachen erlaubt. Klare und offensive Abgrenzung gegenüber rechtspopulistischen und rechten Kräften. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass nicht nur diejenigen Strukturen und Organisationen zu Wort kommen, die über einen Medienapparat verfügen, sondern dass sich möglichst das gesamte Spektrum des Gipfelprotestes medial darstellen kann.

Gleneagles hat ja gezeigt, dass Kampagnen wie "Make Poverty History" letztlich eine Relegitimierung des G8 bewirken und gleichzeitig entschiedenem Protest den Wind aus den Segeln nehmen können. Wie dieser Falle entgehen - zumal es in Deutschland ja auch Stimmen gibt, die sich etwa für eine Neuauflage von "LiveAid" aussprechen?

Das stimmt. Gewisse NGOs denken über eine Neuauflage von "LiveAid" in etwas abgespeckter Form nach. Manche NGOs wollen den G8 lediglich mit medienwirksamen Aktionen begleiten und gleichzeitig mit Alternativvorschlägen auf den G8-Prozess einwirken. Allerdings sollte man bedenken, dass es einen großen Unterschied in der Mobilisierungsfähigkeit des NGO-Spektrums in Großbritannien und in Deutschland gibt. Dort gibt es NGOs wie Oxfam, die selbst zusammen mit den Kirchen große Demonstrationen ausrichten können. Zwar waren kirchliche NGOs 1999 in Köln auch in der Lage, eine Menschenkette zur Entschuldungsproblematik bei dem damaligen G7-Treffen zu organisieren. Gegenwärtig trauen sie sich das aber nicht mehr zu und setzen stattdessen auf spektakuläre Straßenaktionen. Ich denke, wir werden mit folgender Situation konfrontiert sein: Entweder koppeln sich die NGOs völlig von einem wie auch immer gearteten aktivistischen Straßenprotest ab oder sie werden versuchen, sich zu diesen Protest in irgendeiner Form ins Verhältnis zu setzen, weil sie daran nicht vorbei können, wollen sie ihre Anliegen sichtbar machen. Denn Straßenproteste, Blockaden ebenso wie die Großdemonstration, wenn sie denn die Größe erreicht, die gewünscht wird - wir reden ja zum Teil von einer sechsstelligen bzw. einer sehr, sehr hohen fünfstelligen Zahl - werden weitgehend von den sozialen Bewegungen, der radikalen Linken und dem gewerkschaftlichen Spektrum getragen werden.

Eine Massendemonstration mit einer solchen Beteiligung - ist das nicht etwas zu hochgegriffen?

Das ist eine Frage, die sich alle Akteure stellen müssen, sowohl in Rostock, auf dem BUKO und wo auch immer in der kommenden Zeit. Aber warum sollte Heiligendamm eigentlich nicht zum Bezugspunkt für alle Gruppierungen und Aktivisten werden, an dem sie ihre politischen Forderungen und Vorstellungen von einem anderen Leben zum Ausdruck bringen können? Wo, wenn nicht hier? Zudem: Was uns scheinbar zum Nachteil gereicht, kann auch zum Vorteil werden. Es gibt jetzt schon deutliche Signale aus Skandinavien, dass von dort über 10.000 AktivistInnen zu erwarten sind. Zwar liegt Heiligendamm aus einer bundesdeutschen Perspektive hoch im Norden und ab vom Schuss, aber die Tatsache, dass sich die Mächtigen der Welt das Nobelhotel Kempinski für ihr Treffen ausgesucht haben, ist für viele Gruppierungen in ganz Westeuropa, aber besonders auch im nord- und osteuropäischen Raum eine gute und vor allem nahe Möglichkeit, ihren Protest deutlich zu machen.

Noch einmal zurück zu der Frage, wie eine Kampagne ausgelegt sein muss, die nicht als indirekte Legitimierung der G8 erscheint. Welche inhaltlichen Zuspitzungen sind deiner Ansicht nach dafür entscheidend?

Bei der Mobilisierung hat natürlich jedes Spektrum seine eigne Agenda. Für die Gruppen und Einzelpersonen im Netzwerk der Interventionistischen Linken ist Heiligendamm nur ein Moment, wenn auch ein sehr wichtiger. Wir sehen darin die Chance, aufbauend auf den Diskussionen der letzten Jahren eine Auseinandersetzung über einige zentrale Fragen praktisch zu erproben. Nicht zu letzt geht es um solche Fragen wie: Was heißt es heute, links/linksradikal zu sein, was heißt politische Intervention, was heißt Strategie und Taktik einer außerparlamentarischen Linken, wie sehen das die AktivistInnen der IL selbst und wie können die verschiedenen Spektren zueinander in Verbindung treten? Es gibt ja Überlegungen für ein Gipfel-Camp, an dem sich von der BUND-Jugend über solid bis zu jungen GewerkschafterInnen, über attac bis zu linksradikalen Antifaschisten und Antirassisten verschiedene AkteurInnen beteiligen sollen. Dabei könnte doch eine interessante Mischung entstehen, die nicht nur die massenhafte Delegitimierung des G8 repräsentiert, sondern auch mit sich in Kommunikation tritt - und dann vielleicht sogar feststellt, dass es mittlerweile biografisch eher zufällig ist, ob man bei der attac-Jugend landet oder bei der Antifa.

Unterschätzt du da nicht die jeweiligen Abgrenzungsbedürfnisse?

Natürlich wird es Reibung und Auseinandersetzungen geben, es muss sie sogar geben. Insofern muss jetzt erst einmal, neben der Entwicklung der eigenen inhaltlichen Position, ein Raum für solche Auseinandersetzung organisiert werden, in dem die verschiedenen Spektren und AkteurInnen überhaupt die Chance haben, ins Gespräch zu kommen. Wenn es nicht gelingt, einen solchen Raum zu schaffen, dann wird es in der Tat so sein, dass die verschiedenen AkteurInnen 2007 in Mecklenburg-Vorpommern nebeneinander stehen und sich argwöhnisch beäugen. Es würde dann sicherlich auch eine Gegengipfel geben, eine Demonstration und unterschiedlich konfrontative Blockaden. Aber würde das in einem wie auch immer gearteten kommunikativen Geist zueinander passieren oder doch nur, um alte Gewissheiten zu bestätigen? Wäre es da nicht besser - vor allem, wenn einer/m ernsthaft an einer neuen radikalen linken Option gelegen ist - den Prozess der Mobilisierung so weit wie möglich gemeinsam anzugehen, ohne die jeweils eigenen Positionen zurückzustellen? Ob das gelingen wird, vermag ich nicht vorauszusehen.

Interview: mb.