»Aktuelle« Interviews zum G20-Gipfel

Gespräche mit Rosa Luxemburg, Karl Marx und Ernst Bloch
Cover der IL-Zeitung zum G20-Gipfel in Hamburg 2017

Gespräch mit Rosa Luxemburg

Wenn man sich anschaut, wer in diesem Jahr zum G20-Gipfel nach Hamburg kommt, denkt man: das reinste Gruselkabinett! Wie kann es sein, dass so unterschiedliche Figuren im Kapitalismus zusammenkommen?
„Zwischen der kapitalistischen Entwicklung und der Demokratie läßt sich kein allgemeiner absoluter Zusammenhang konstruieren. Die politische Form ist jedesmal das Ergebnis der ganzen Summe politischer, innerer und äußerer, Faktoren und läßt in ihren Grenzen die ganze Stufenleiter von der absoluten Monarchie bis zur demokratischen Republik zu.“

Der Fokus der G20 liegt auf der Ökonomie. Das Wachstum der Wirtschaft ist das Mantra in Dauerschleife. Wie können wir hier politisch agieren?

„In einem Staate, wo jede Form und jede Äußerung der Arbeiterbewegung verboten, wo der einfachste Streik ein politisches Verbrechen ist, muß auch logischerweise jeder ökonomische Kampf zum politischen werden.“

Was sind die Antriebskräfte, die auch hinter dem G20-Gipfel in Hamburg stehen?

„Der Produzent, der nicht bloß Waren, sondern Kapital produziert, muß vor allem Mehrwert erzeugen. Mehrwert ist das Endziel und das bewegende Motiv des kapitalistischen Produzenten.“

Was ist die andere Seite dieser Mehrwertproduktion? Das Ganze geht ja nicht klinisch sauber über die Bühne.

„Die andere Seite der Kapitalakkumulation vollzieht sich zwischen dem Kapital und nichtkapitalistischen Produktionsformen. Ihr Schauplatz ist die Weltbühne. Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege. Hier treten ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung zutage, und es kostet Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufinden.“

Aber die Vertreter*Innen der liberalen Demokratien  gerieren sich als Lichtgestalten eines Fortschrittsprozesses zum Immer-Besseren. Vor ein paar Jahren faselten manche sogar schon vom Ende der Geschichte. Ist das nicht ein unfassbares Zerrbild?

„Die bürgerlich-liberale Theorie faßt nur die eine Seite: die Domäne des ‚friedlichen Wettbewerbs‘, der technischen Wunderwerke und des reinen Warenhandels, ins Auge, um die andere Seite, das Gebiet der geräuschvollen Gewaltstreiche des Kapitals, als mehr oder minder zufällige Äußerungen der ‚auswärtigen Politik‘ von der ökonomischen Domäne des Kapitals zu trennen.“

Was ist möglich und wer sind die Menschen, die diese Kämpfe führen?

„Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken. Aber sie machen sie selbst.“

 

Gespräch mit ​Karl Marx

In Hamburg, wo du vor 150 Jahren dein „Kapital“ veröffentlicht hast, trifft sich in diesem Jahr der G20-Gipfel. Was ist deren Problem? Was treibt diese Leute an und warum müssen sie sich treffen, sich im Weltmaßstab koordinieren?
„Eine stets ausgedehntere Massenproduktion überschwemmt den vorhandnen Markt und arbeitet daher stets an Ausdehnung dieses Markts, an Durchbrechung seiner Schranken. Was diese Massenproduktion beschränkt, ist nicht der Handel (soweit dieser nur existierende Nachfrage ausdrückt), sondern die Größe des funktionierenden Kapitals und die entwickelte Produktivkraft der Arbeit. Der industrielle Kapitalist hat beständig den Weltmarkt vor sich, vergleicht, und muß beständig vergleichen, seine eignen Kostpreise mit den Marktpreisen nicht nur der Heimat, sondern der ganzen Welt.“

Die G20 in diesem Jahr haben ein neues Narrativ, also eine neue Erzählung. Es geht um Unsicherheit, Risiko, Resilienz also Widerstandsfähigkeit sowohl der Ökonomie als auch der Menschen. Verwundert dich das?

„Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus.“

Warum ist dieses Treffen für das Weltkapital so wichtig? Was ist der Hintergrund und die Zielvorstellung?

„Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden.“

Trump spricht von Schutzzöllen. Andere meinen, das sei böser Protektionismus. Was soll man davon halten?

„Übrigens ist das Schutzzollsystem nur ein Mittel, in einem Lande die Großindustrie aufzuziehen, das heißt, es vom Weltmarkt abhängig zumachen; und von dem Augenblick an, wo man vom Weltmarkt abhängt, hängt man schon mehr oder weniger vom Freihandel ab. Außerdem entwickelt das Schutzzollsystem die freie Konkurrenz im Innern eines Landes.“

Gespräch mit ​Ernst Bloch

Ernst, du bist der Philosoph der Hoffnung. Wie siehst du den Zustand der Welt?
​„Die Zeit fault und kreißt zugleich. Der Zustand ist elend oder niederträchtig, der Weg heraus krumm. Kein Zweifel aber, sein Ende wird nicht bürgerlich sein."

Das heißt also, wir können hoffnungsvoll sein, weil Rebellion aus Hoffnung entsteht. Und trotz aller Schwierigkeiten können wir optimistisch in die Zukunft blicken?

„Optimismus ist daher nur als militanter gerechtfertigt, niemals als ausgemachter; in letzterer Form wirkt er, dem  Elend der Welt gegenüber, nicht bloß ruchlos, sondern schwachsinnig.“

Verstehen wir dich richtig? Du drehst den Satz um. Damit Hoffnung entsteht braucht es auch die Rebellion. Aber wie geben wir dem, was wir wollen, eine Orientierung, eine Richtung?

„Das Morgen (lebt) im Heute … , es wird immer nach ihm gefragt. Die Gesichter, die sich in die utopische Richtung wandten, waren zwar zu jeder Zeit verschieden, genauso wie das, was sie darin im einzelnen, von Fall zu Fall, zu sehen meinten. Dagegen die Richtung ist hier überall verwandt, ja in ihrem noch verdeckten Ziel die gleiche …“

Ok, die Richtung kann nie eine individuelle sein, sie muss eine gemeinsame, kollektive sein, nicht nur hier und jetzt, sondern auch in der Geschichte. Aber wie weit müssen wir gehen?

„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch.“

Und was rätst du uns für den G20-Gipfel in Hamburg?

„Ich bin. Wir sind. Das ist genug. Nun haben wir zu beginnen. In unsere Hände ist das Leben gegeben. Für sich selber ist es längst schon leer geworden. Es taumelt sinnlos hin und her, aber wir stehen fest, und so wollen wir ihm seine Faust und seine Ziele werden.“

aus: Zeitung der Interventionistischen Linken (→ mehr)
Die Zeitung wurde gefördert von Netzwerk - der politische Förderfonds Berlin, von Netzwerk Selbsthilfe Saar. Wir danken. Die Hans-Böckler-Stiftung hat die Förderzusage ihres Soli-Fond vom 12.7.2017 nach zwei Monaten mit der Begründung zurückgenommen, das Projekt sei "hinsichtlich den in der Satzung der HBS festgelegten Aufgaben und Zwecke nicht förderungsfähig".