10 Tage Klimacamp

Alles richtig gemacht … aber soll das etwa alles sein?

Das Klimacamp von 15. bis 24. August in Hamburg Lurup im Doppelcamping mit dem AntiRa-Camp ist erfolgreich zu Ende gegangen. Im Rahmen des Camps fanden mehr als 60 Workshops und Vorträge statt sowie tägliche öffentlichkeitswirksame Aktionen. Hieran beteiligten sich über 2.000 Menschen, die für ein ganz anderes Klima und gegen rassistische Abschiebepolitik eintreten. Das Camp hat die Hamburger schwarz-grün dominierte politische Landschaft aufgewühlt und in Bewegung gehalten. Rassistische Abschiebepolitik war genauso Zielscheibe der Aktiven wie eine heuchlerische Klimapolitik, die in erster Linie weiter auf ökonomisches Wachstum setzt. Hier eine Nachbereitung von Avanti zum Klimacamp.

10 Tage Klimacamp:
Alles richtig gemacht … aber soll das etwa alles sein?

Wir, Avanti- Projekt undogmatische Linke, waren Teil der Vorbereitung des Klimacamp 2008 und hatten im Vorfeld innerhalb der Interventionistischen Linken für eine starke Beteiligung geworben. 10 Tage lang wurde im Rahmen eines „Doppelcamps“ (also in Union mit dem in der Linken bereits etablierten Antira- Camps) in vielen anspruchsvollen workshops und Abendveranstaltungen diskutiert, wurden vom Camp aus kleinere und größere Agit- Prop- Aktionen, Kundgebungen, Demos unternommen, wurde gekocht, gegessen, abgeführt und so weiter.
Das Camp, die Aktionen und somit die Inhalte haben in der lokalen Presse eine enorme Aufprallfläche gefunden. Der Klimadiskurs wurde erstaunlich erfolgreich kapitalismuskritisch aufgetunt. Dennoch sollte die Freude über diesen politischen Erfolg nicht die notwendigen Fragen kaschieren: Wieso waren wir so wenig? Wo war die interventionistische Linke? Und vor allem: was für Schlüsse ziehen wir hieraus für die Zukunft?

Wir möchten ein paar Nachbetrachtungen zum Klimacamp formulieren, die allerdings zunächst nur einen ersten Diskussionsstand wiedergeben. Wir verstehen unsere Gedanken als Thesen, zu denen sich hoffentlich noch andere Gruppen der Vorbereitung und der IL äußern. Wir haben uns nicht auf die Detailkritik einzelner Aktionen/ Geschehnisse konzentriert, sondern beschränken uns vor allem auf die gemachten Bündniserfahrungen sowie eine politische Bewertung des Geschehens. Zur gemeinsamen Labung fällt der erste Teil sonnig aus, der zweite wirft einen Blick auf die Schattenseiten.

Brüche genutzt - Systemkritik in den Klimadiskurs bugsiert
Das wichtigste gleich am Anfang: Wir verbuchen das Klimacamp als politischen Erfolg. Im Vorfeld gab es bei uns bezüglich der Beschäftigung mit der Klimafrage das vermutlich überall zu beobachtende Unbehagen: zu drückend ist die Wollsockenhypothek der Ökobewegung mit ihrem individualisierenden Enthaltsamkeits- Moralismus.
Doch die oft und zu recht beklagte „klimapolitische Heuchelei des G8“ verweist auch deutlich auf ein Glaubwürdigkeitsdefizit der offiziellen Politik und auf die hieraus entstehende Repräsentationslücke. Bauchschmerzen hin oder her, Lücken sind gut für Interventionen. Speziell in HH erschien es uns mit dem Klimacamp als Impulsgeber auf lokaler Ebene möglich, die Ökodebatte von „heiler Umgebung“ zu „Energiepolitik im Kapitalismus“ zu biegen. In Hamburg, so vermuteten wir, eignet sich die Auseinandersetzung um den geplanten Kohle-KW-Neubau in Moorburg als geeigneter Testballon, ob es gelingt, mit einer radikalen Kapitalismuskritik die Energie- und Klimadiskussion zu qualifizieren.
Dies hat sogar – die faktisch inexistente Umweltbewegung in Rechnung gestellt - erstaunlich gut geklappt.

Einerseits haben wir einen bereits bestehenden Konflikt zugespitzt, andererseits wurde flankierend durch die öffentlich gut vermittelbaren (und vermittelten!) Aktionen der Zusammenhang von sozialer Frage und Ökologie dargestellt. Es war eben dank der Einbettung in ein reiches Programm kein reines „Anti- Moorburg- Camp“. Erstaunlicherweise konnte tatsächlich quer durch die lokale Presselandschaft 10 Tage lang grundlegende Kapitalismuskritik transportiert (siehe Presseblog: www.klimacamp08.net).
Da ja anscheinend plötzlich alle Klimaschützer sein wollen, ruft dieses Thema zunächst nicht die klassischen Abwehrreflexe hervor – der Raum für Diskussionen ist – für uns ungewohnter Weise - plötzlich da. Somit haben wir in der Summe - tatsächlich im Wortsinne - interveniert, wir haben mit der Klimafrage eine „Lücke“ aufgespürt, die es wenigstens punktuell ermöglichte, aus der Marginalität der radikalen Linken auszubrechen und systemkritische Positionen im öffentlichen Raum zu positionieren. Doch auch für die Zuspitzung des lokal derzeit präsentesten Konfliktes sehen wir einen Punkterfolg: durch das Klimacamp konnte der KW- Bau in Moorburg erfolgreich rethematisiert werden – Vattenfall hat ordentlich Federn gelassen.
Politisch konnte darüber hinaus der Schwenk, den die Grünen durch ihre Regierungsbeteiligung eingeleitet haben, markiert werden; die entstandene Repräsentationslücke konnte durch die Linke (und nicht nur durch die gleichnamige Partei!!) genutzt werden. Dass dies nicht sofort dazu führt, dass sich innerhalb der Regierung über Moorburg gestritten wird, widerspricht dieser Einschätzung nicht: Im September soll sich die Umweltbehörde (unter grüner Knute) äußern, der vom Klimacamp in die Wunde gelegte Finger müsste (nicht zuletzt unter Blick auf die nächsten Wahlen) mindestens bei den denkfähigen Teilen der Grünenbasis schmerzen und entsprechende Wirkung entfalten.

Unsere positive Einschätzung kommt vor allem vor dem Hintergrund einer erstaunlich starken lokalen Medienresonanz zustande. Über ganze 10 Tage erschienen in den HHer Topsellern ( Abendblatt, MOPO, taz und Welt) erstaunlich sachliche Artikel mit zum Teil erstaunlich gut recherchierten Hintergrundberichten. Diese Aufmerksamkeit lag nicht nur am gut „verkäuflichen“ Thema oder etwa am Sommerloch, sondern ist auch Leistung einer wirklich respektablen Öffentlichkeitsarbeit. Da hat sich die Linke tatsächlich spürbar vom Ballast der autonomen Pressefeindlichkeit emanzipiert. Durch die Schützenhilfe weiß nun garantiert jede MOPO - Leserin, dass die Klimafrage eine Frage von sozialer Gerechtigkeit ist, sowohl international (Verbindung zu Migrationsthema) als auch innenpolitisch (Wilhelmsburg, Energiepreise).
Auch inhaltlich hat das Camp dazu gedient, die oben bereits zitierte „klimapolitische Leerstelle“ der Linken bei den G 8- Protesten aufzufüllen. Das Camp hat als Fokus gedient um eine Inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema in der Linken einzuleiten. Etliche Publikation haben sich in den Wochen vor dem Camp mit dem Thema beschäftigt. Auch auf dem Camp selbst, gab es sehr gute und anspruchsvolle Workshops und Diskussionen. Die Linke hat sich u. E. in diesem Sommer wirklich fortgebildet. Die Aktionen und Diskussionen haben in ihrer Gesamtheit einerseits einen Beitrag zur Sensibilisierung der Linken für dieses Politikfeld und andererseits zur Radikalisierung der Ökoszene geliefert.

Doppelmoppel
Die Festlegung auf ein Doppelcamp war strategisch sinnvoll. Nicht nur wegen der Fokussierung inhaltlicher Verschränkungen der Themen, auch infrastrukturell und in Bezug auf die Außendarstellung ergaben sich die erhofften Synergieeffekte. Beide „Lager“ konnten so voneinander profitieren: Die Klimafraktion profitierte von der interationalen Perspektive, die besonders aus der Antira-Vorbereitung unterstrichen wurde. Die inhaltliche Verknüpfung des Klimadiskurses mit den Eckpfeilern um Globale Soziale Rechte stellte eine Erweiterung des Debattenbogens dar. Aber auch in Bezug auf die größere personelle Stärke der antirassistischen Zusammenhänge, auf ihre Camp- Erfahrungen und ihr infrastrukturelles Know- How bereicherte das Antira- Spektrum, ohne diese Mitgift hätte das Camp so nicht stattfinden können. Die Klima-Fraktion hingegen konnte den Reiz des Neuen, also das mediale Augenmerk einbringen, konnte den Gutmenschen- und Weltretterbonus in die Wagschale schmeißen. Die durchaus vorhandene Gefahr damit den Antiras die Show zu stehlen hat sich letztlich nicht bewahrheitet. Im Zuge des Presserummels konnten antirassistische Themen deutlich und eigenständig in die Öffentlichkeit transportiert werden.

Die unterschiedlichen (Selbst-) Bilder bekamen im Campalltag leider einen etikettierenden Anstrich (straighte Antiras und verpeilte Ökos). Die Medien griffen in Teilen diese Spaltungslinie auf, wo tendenziell ein Bild von den „guten Klimaaktivisten“ und den „auf Krawall gebürsteten Antirassisten“ gezeichnet wurde. Diese Spaltung zog sich zwar nicht stringent durch (die Überschrift lautete eigentlich immer undifferenziert „Klimacamp“- auch nach den Anschlägen) dennoch hätten wir der internen Spaltung gemeinsam mehr entgegengesezen sollen, den identitären Aufladungen wurde wenn überhaupt nur halbherzig widersprochen.
Dennoch war das Doppelcamping eine gute Entscheidung, die Mehrzahl der Camper hat wie selbstverständlich an allen Aktionen des Camps (also beider camps) teilgenommen - das befürchtete inhaltliche Kuddelmuddel blieb aber aus. Die Camps haben zwar viele Schnittmengen gehabt, konnten sich aber dennoch inhaltlich unterscheidbar artikulieren.

Mobilisierungsmisserfolg
Dem inhaltlichen Erfolg der Camptage steht eine Niederlage der Mobilisierung gegenüber. Es bleibt erklärungsbedürftig, warum das Camp nicht die erwarteten Massen gezogen hat – es waren max. 850 Leute auf dem Camp. Das wirkte am Anfang noch gelungen, aber entgegen allen Prognosen bröckelte es schon ab Donnerstag und der erhoffte Nachschub am Ende der Woche traf nicht ein. Bei Gegenstrom08 am Samstag (!) waren nur 700 Menschen.

Klar: Das Wetter war Scheiße. Das ist auch ein Nachteil eines Camps: wer hat schon Lust, 10 Tage lang mit klammen Klamotten rumzulaufen. Außerdem hatte das Gros der CamperInnen ein etwas höheres Alter als im Vorfeld gedacht. Viele von uns müssen eben eine Vielzahl sozialer und beruflicher Verpflichtungen unter ein Dach bekommen. Somit ist es in „unseren“ Lebenswelten zwar möglich, für einzelne Großereignisse und Wochenendkongresse Zeit frei zu schaufeln, aber auf viele wirkt so ein 10-tägiger „politischer Halburlaub“ nicht sonderlich attraktiv. Das allein reicht zwar nicht als Erklärung aus, sollte aber bei zukünftigen Mobilisierungen stärker hinterfragt werden.

Als ein gewichtiges Problem stellten wir allerdings im Vorfeld bereits fest, dass die Vorbereitung auf zu wenig Schultern verteilt war. Die Klimacamp- Vorbereitung wurde in weniger als einem halben Jahr von ca. einem Dutzend Personen (Feierabendpolitikern) gerissen. Zwangsläufig wurden sehr viele Kapazitäten von infrastrukturellen Problemen, dem Ausloten inhaltlicher Positionen und dem Aufbau interner Kommunikationsstrukturen gebunden. Dadurch wurde das Herzstück jeder erfolgreichen Vorbereitung – die Mobilisierung- fast verschlampt. Das kann dann auch die beste Pressearbeit (die im Vorfeld eines bis dato unbekannten Ereignisses sowieso schwierig ist) nicht mehr wettmachen.

Das ganze Problem der fehlenden Beteiligung auf die Mobilisierung allein zu schieben, geht hingegen am bewegungstheoretischen Kern des Problems vorbei. Das sich sehr wenige (nicht-campende) aus Hamburg an den Aktionen beteiligt haben, liegt sicher zum Teil an einer mangelnden Informationsverbreitung: für die einzelnen Aktionen wurde zu wenig geworben. Allerdings hat an der fehlenden lokalen Unterstützung auch die Entscheidung großer Teile der Hamburger Linken, sich bewusst nicht für die Camps zu interessieren einen großen Anteil. Dies ist umso bedauerlicher als diese Absage in Teilen als eine fortgesetzte Ansage gegen spektrenübergreifende Zusammenarbeit und -politik die über die kulturelle Wohlfühlecke hinausgeht, verstanden werden muss. Vor dem Hintergrund, dass die Hamburger Beteiligung an bundesweiten Grenzcamps außerhalb Hamburgs immer o.k. war, ist dies völlig unbegreiflich.

Letztlich spiegelt die mangelhafte Beteiligung aber die mangelnde Breite (womit wir nicht so sehr die Spektrenübergreifende Breite meinen) und Verankerung der Vorbereitungskreise wieder. Besonders in Hamburg, aber auch bundesweit war es ein kleines Häuflein, welches die Klimacampvorbereitung geschmissen hat. Eine Initiativzündung für etliche Gruppen und –zusammenhänge, anlässlich des angebotenen Ereignisses selbst aktiv zu werden, konnte nicht erreicht werden. Angesichts der Überlastung hat sich der Kreis der Aktiven zum Camp hin sogar eher noch verkleinert als wirklich ausgeweitet.
Als Ergebnis davon, waren wir während des Camps von den Medien abhängig, um mit Menschen zu kommunizieren. Dies ist dank strategischem Geschick und professioneller Medienarbeit zwar gelungen, hätte uns aber auch auf die Füße fallen können. Um eine wirkliche Bewegungsdynamik zu entfalten, liegt noch einiges an Arbeit vor uns.

Nicht nur allgemein, auch uns selbst konnten wir nicht im erwünschten Maße mobilisieren. Unsere eigene Präsenz auf dem Camp, aber auch die von assoziierten Gruppen bzw. Aktiven aus der IL sehen wir kritisch. Was allgemein gilt, gilt für unser Spektrum im Besonderen: hier verstärken sich eine kulturelle Abneigung gegenüber Campen als Aktionsform und eine Skepsis gegenüber der politischen Bedeutung gegenseitig. Sicher hatte eine begründete, und von uns ebenfalls formulierte Kritik am Eventhopping (verbunden mit der Belastung durch die liegen gebliebenen lokale Arbeit aus der G8- Zeit) einen berechtigten Anteil an der Abwesenheit der IL gehabt. Trotzdem sehen wir eine verpasste Chance.
Unser (vor diesem Hintergrund bewusst beschlossenes) Engagement im Rahmen der Camps hatte auch viel mit einer beabsichtigten Kontinuität aus unserer G8 Arbeit zu tun. Mit Gegenstrom08 ging es um die Verstetigung und Weiterentwicklung eines erfolgreichen Aktionskonzeptes, in der Vorbereitung um die Kontinuität spektrenübergreifender Bündnisse. Mit vielen Akteuren konnten wir die positiven Erfahrungen aus der G8- Zusammenarbeit verstetigen. Der lobenswerte Anspruch vieler IL Gruppen, über Kontinuität in bestimmten Politikfeldern lokale Verankerung zu erreichen, mag erklären, warum es ihnen schwerer fällt sich auf ein neues Politikfeld wie Klima einzulassen. Doch wenn wir feststellen, mit welcher Leichtigkeit es gelingt, die lokale Verankerung im Antifa-bereich für eine IL- Mobilisierung nach Köln zu nutzen, dann bleibt zu hoffen, dass die Beweglichkeit der IL in Zukunft ausreicht, auch in noch nicht etablierten Politikfeldern zu agieren.

Die weitgehende Abwesenheit der IL hat nichtsdestotrotz keine gravierenden Lücken gerissen; dies markiert damit auch, dass sich die Koordinaten der radikalen Linken seit G8 verschoben haben. Das, was wir als interventionistischen Politikansatz verstehen würden, war die politische Mitte der Klima-Camp-Vorbereitung, auch ohne dass große Teile davon sich als Teil der IL sehen würden. Das Camp wirft damit erneut die Frage auf, wie das Organisierungsprojekt IL, sein Verhältnis zu den Akteuren einer interventionistischen Strömung bestimmt, welche selbst (noch) nicht Teil des Organisierungsprozesses sind.

Seattle - Genua - Heiligendamm – Moorburg ?
Das Camp war kein Heiligendamm- Revival. Die im Vorfeld aus Mobilisierungszwecken bemühte Analogie war wohl eher das „Pfeifen im Walde“. Ein Vergleich verbietet sich ohnehin, da der G8 bereits als Anlass bestand, sich die Mobilisierung also eines bereits bestehenden Resonanzkörpers bedienen konnte. Das Camp hatte keinen „äußeren Anlass“; die Begründung und die Aufmerksamkeit mussten erst mühsam hergestellt werden.
Aber: Etliche Kontinuitäten zu Heiligendamm konnten erfolgreich genutzt werden. Der Vorbereitungskreis konnte nur aufgrund der um G8 herum aufgebauten Kontakte überhaupt funktionieren. Das an Block G8 orientierte Aktionskonzept von Gegenstrom hat trotz widrigster Umstände gegriffen und kann als Katalysator einer Re- Radikalisierung von Auseinandersetzungen um Energiepolitik wirken.

Und nu?
Was fehlt ist jetzt noch die Frage nach dem „wie weiter?“. Hierzu haben wir noch keine endgültige Antwort, dennoch möchten wir einige Splitter aus unseren Überlegungen zur Diskussion stellen:
Die Klimafrage/ -bewegung braucht für wirksame Intervention lokale Kristallisationspunkte wie z. B. die Auseinandersetzung um Moorburg. Eine Wiederholung in solch einem Rahmen (wie sie vereinzelt bereits gefordert wird) könnte also theoretisch durchaus in Betracht gezogen werden. Wir sollten aber jetzt nicht voreilig in ein Ritual verfallen! Erstmal in Ruhe auswerten und Sachen trocknen. Weder das Doppelcamping noch die Idee eines Klimacamps in Hamburg sollten unkritisch reproduziert werden. Es war für dieses Jahr – mit allen notwendigen Abstrichen – eine gute Form. Aber muss es denn (jenseits der Frage wie viele und welche Säulen zusammenpassen) zwangsläufig ein Camp sein? Zur Wetterproblematik und der wahnsinnig aufwändigen und störanfälligen Vorbereitung kommt ja noch das offensichtliche Verankerungsproblem. Ein Camp ist ein UFO. Es kommt reingeflogen, landet, entfaltet Aktivität, schiebt eventuell Prozesse an und sollte aber tunlichst nicht mirnichts- dirnichts wieder wegfliegen. Die Insassen sollten Sorge dafür tragen, dass ihre Mission nachhaltig erfüllt wird- sonst bleibt nichts als eine verblassende Erinnerung an skurrile, dünnbeinige Aliens.

Die erhoffte lokale Verankerung kann erst im Nachklapp erfolgen, hier müssten jetzt die Gruppen vor Ort langen Atem zeigen. Das Camp kann –und das ist aus Hamburger Perspektive schon ein besonderer Erfolg - eine Initialzündung geben. Jetzt gilt es aber vor Ort die Glut zu schüren, die Flamme am Brennen zu halten usw. Und hier müsste lokal also dringend nachgelegt werden, um die gewonnene Aufmerksamkeit zu bedienen. Die Besetzung des Hamburger GAL- Büros von Gegenstrom08 sowie die erneute Bauplatzbesetzung durch Greenpeace (beides am 8.9.) weisen durchaus in diese Richtung. Aber kann das reichen, wenn Vattenfall gleichzeitig eine monströse PR- Maschine angeschmissen hat?

Für die eigentlich nun erst recht notwendigen „Mühen der Ebene“, also das anstrengende, aber für reale Verankerung unabdingbare Klein-Klein vor Ort (mit BürgerInnen reden, Infostände, grundsätzliches Infomaterial herstellen, Sonntagsspaziergänge organisieren usw.) fehlen uns teilweise schlicht die personellen Ressourcen. Deshalb sollten die euphorischen Stimmen, die jetzt bereits die Geburt einer neuen, modernen Klimabewegung feiern, erst mal die Füße ruhig halten. Natürlich freuen auch wir uns über das jetzt bereits gesteigerte Interesse an der kommenden Anti-Castor- Mobilisierung (11/08) und werden natürlich auch diese nach Kräften unterstützen. Aber ein Gradmesser für die eigene lokale & nachhaltige Durchschlagskraft vor Ort können solche punktuellen Events nun mal nicht sein.

Damit so ein Camp Wirksamkeit für eine linke/ linksradikale Intervention in die Klimaauseinandersetzungen über die Hamburger Stadtgrenzen hinaus entfalten kann, sollten sich bundesweit alle Beteiligten vor Ort umschauen, wo die prognostizierten Konfliktpotentiale lokal aufbrechen und welche Rolle sie in diesen Auseinandersetzungen spielen können. Es wird deutlich, dass mit solch einer Brille betrachtet, eine abschließende Bewertung des Camps noch nicht möglich ist.
Aber ganz sicher kosten die gewünschten Verankerungsprozesse stets Energie, die dann für andere Annehmlichkeiten fehlt. Wir werden trotzdem schon mal schauen, ob für einen Alternativgipfel zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen (12/09) noch Reserven auszumachen sind…

Zusammenfassung:
Eine neue Klimabewegung gibt es noch nicht; es verstetigten sich jedoch arbeitsfähige Netzwerkstrukturen aus verschiedenen Spektren, diese machen erfolgreich Anstalten, sich ein Politikfeld zurückerobern und zu qualifizieren. Die Diskussionen und praktischen Aktionserfahrungen des Klimacamps wirken motivierend und radikalisierend in die jeweiligen Szenen zurück. Die im Laufe des Camps entstandene, erhebliche mediale Aufmerksamkeit wurde optimal genutzt, das Image eines Energie-Multis anzukratzen, der Grünenpartei das Ökolabel abzuerkennen und nonchalant mit der Forderung „Stromkonzerne enteignen“ endlich mal wieder selbstbewusst und vernehmbar die Systemfrage zu stellen.
Ist doch was!

Avanti – Projekt undogmatische Linke, Septbember 2008